Unterdrückung der Frau heute

Die Verlegerin und Juristin Ellen Ringier ärgert sich im Interview darüber, dass Ehefrauen in der Schweiz nicht als eigenständige Persönlichkeiten wahrgenommen werden. Sie verrät überdies, warum sie nie in die Politik eingestiegen ist und sagt, wieso sie den Schweizer Dok-Film «#Female Pleasure» unterstützt.

Elf Uhr mittags im lichtdurchfluteten Büro von Ellen Ringier im Zürcher Seefeld-Quartier. Die 67-jährige Luzernerin ist mit einem der vermögendsten Männer der Schweiz verheiratet. Auf der «Bilanz»-Liste der reichsten Schweizer belegt das Ehepaar Platz 141. Das Wirtschaftsmagazin schätzt das Vermögen der Ringiers auf sage und schreibe 950 Millionen Franken.

Doch mit der klassischen Goldküstengattin habe Ringier etwa gleich viel gemein wie Lady Gaga mit den Berliner Philharmonikern, schrieb die «Annabelle» einmal. «Ihre Zeit investiert die promovierte Juristin nicht in Maniküre oder Sitzungen beim Personal-Trainer, sondern in die Verbesserung der Welt.»

Die Gesprächsthemen an diesem späten Morgen: Engagement, Geld – und die Gleichberechtigung. Ringier nimmt einen letzten Schluck Kaffee, zieht noch einmal an ihrer Zigarette, dann starten wir mit ein paar harmlosen Entweder-oder-Fragen.

Frau Ringier, wir machen heute ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle Ihnen in der nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen – und Sie antworten möglichst schnell und spontan. Passt Ihnen eine Frage nicht, sagen Sie einfach «weiter».

Es gibt zwei, drei Tabufragen, die ich nicht beantworten werde.

Luzern oder Zürich?

Zürich.

Angela Merkel oder Simonetta Sommaruga?

Angela Merkel. Ich schätze ihre Unaufgeregtheit.

Ihr revolutionärster Gedanke als Zwölfjährige?

Die Welt retten.

Ihr Vorbild?

Alles Weltretter – Albert Schweitzer, Henri Dunant, Florence Nightingale.

Das Gespräch hat bis hierher exakt 55 Sekunden gedauert. Wird das ein Interview im Stakkato-Tempo? Wohl kaum.

Fehlten Ihnen in Ihrer Kindheit erfolgreiche weibliche Vorbilder?

Nein, sie waren ein grosses Thema. Ich war fasziniert von Königin Christina von Schweden, die sich der Heirat mit ihrem Vater widersetzt hat. Letztlich kostete sie dies das Amt. Interessant fand ich die israelische Politikerin Golda Meir und die berühmte Forscherin Marie Curie, die bislang einzige Frau mit Nobelpreisen auf zwei Fachgebieten. Frauenfiguren waren für mich zentral, ich las viele Biografien. Diese Bücher, aber auch die Erziehung meiner Mutter, bestärkten mich, später nicht nur Hausfrau sein zu wollen und mich einem Gruppenzwang, genannt Gesellschaft, unterzuordnen. Ich wusste früh, ich kann frei wählen, was ich werden will, und wollte das auch unbedingt so handhaben.

Von Ihrem Grossvater stammt der Satz: «Im Leben geht es immer darum, anderen Menschen eine Chance zu geben.» – Als Teenager, was löste der Satz bei Ihnen aus?

Der Satz fiel auf fruchtbaren Boden. Ich spürte schon früh – so unreligiös wie ich bin – es gibt aus mir selber eine Verpflichtung, meine Begabungen und Möglichkeiten in den Dienst von anderen zu stellen. Mit dem Satz war zudem ein Trust verbunden: Mein Grossvater schenkte mir eine grössere Summe Geld, die mich unabhängig machen sollte von den Männern. Ein unglaubliches Geschenk, weil ich dadurch bereits mit zwölf Jahren wusste, ich kann meinen eigenen Weg gehen, es wird immer ein Auffangnetz da sein. In den 1950er Jahren ging es als Frau ja vor allem darum, sich gut zu verheiraten. Aber das war für mich – obwohl ich heute gut verheiratet bin (lacht laut) – nie ein Thema. Eine meiner beiden Schwestern ist bis heute nicht verheiratet.

Sind Sie durch Ihren Grossvater der soziale und engagierte Mensch geworden, der Sie heute sind?

Meine Eltern, aber auch meine Grosseltern haben mich stark beeinflusst. Von meiner katholischen Grossmutter väterlicherseits stammt der Satz: «Man darf nicht dergleichen tun, man muss ein Gleiches tun.» Damit wollte sie sagen, was man für einen selber tut, kann man auch für andere tun.

Wirklich wahr, dass Ihr Vater Ihnen verboten hat, Medizin zu studieren?

Er sagte mir, dass dies das einzige Studium sei, welches er nicht unterstützen würde.

Wieso wollte er nicht, dass Sie Ärztin werden?

Meine Chemie- und Physiknoten im Maturazeugnis schienen ihm nicht genügend Vertrauen in einen Studienerfolg zu geben.

Ihnen wird nachgesagt, ein grosses Herz zu haben. Das ist ja auch einfach, wenn man so viel Geld auf dem Bankkonto hat wie Sie. 

Diesen Zusammenhang bestreite ich vehement. Erstens verfüge ich leider gar nicht über so viel Geld, sonst wäre ich nicht seit 30 Jahren im Fundraising tätig und würde heute nicht im Büro sitzen, sondern wäre draussen an der Sonne. Zweitens kann man auch ein grosses Herz haben, ohne Geld zu spenden, etwa indem man eine Leistung erbringt, also statt Geld Zeit spendet. Ich meine so etwas Naheliegendes wie Nachbarschaftshilfe. Wie wäre es, wenn jeder am Morgen zum Fenster herausschauen würde und sich überlegte, wieso bei der alten Frau im Haus gegenüber die Storen immer noch unten sind, wo sie doch sonst immer schon früh wach ist? Warum geht man, bemerkt man es, nicht einfach schnell rüber und fragt nach, ob alles okay ist? Ich bin überzeugt, wenn es mehr Nachbarschaftshilfe gäbe, sähe hierzulande die Welt viel besser aus.

Es heisst, die übliche Omertà der Superreichen – Geld hat man, spricht aber nicht darüber – kümmere Ellen Ringier nicht. Na dann, schauen wir einmal, ob dem wirklich so ist.

Ist Erben nicht unheimlich ungerecht?

Erben ist ungerecht, aber nicht unheimlich ungerecht. Ungerecht ist es vor allem dann, wenn die Erben mit dem Geld nicht etwas im Gesamtinteresse der Gesellschaft unternehmen, sondern ausschliesslich an die Optimierung des eigenen Wohls denken.

Sie wurden auch schon «penetrantes Bettelweib» genannt. Tut’s weh?

Es tut nur weh, wenn damit die Meinung vertreten wird, ich mache das für mich selber. Aber mit 67 geniesse ich längst den Altersbonus und stehe über solchen Dingen.

Wie spendabel sind die reichen Schweizerinnen und Schweizer?

So generell kann ich das nicht sagen. Ich glaube, die nicht reichen Schweizer sind sehr grosszügig. Schauen Sie doch nur, wie erfolgreich die Spendenaufrufe der Glückskette jeweils sind. Unser Land hat ein sehr hohes Spendenaufkommen. Und von den reichen Schweizern hoffe ich, dass sie alle ihren wenig sichtbaren Teil fernab in den Drittweltländern leisten.

Verpflichtet Reichtum?

Absolut.

Wann lancieren Sie endlich die Initiative für ein sozial verpflichtetes Eigentum?

Ich glaube nicht, dass ich angesichts der starken rechten Halsstarrigkeit Chancen hätte, eine solche Initiative durchzubringen. Ich hoffe jedoch, nein, ich bin überzeugt, dass ich viele Menschen im Laufe meines Lebens zu einem solchen Lebensstil animieren konnte.

Quelle: https://www.bluewin.ch/de/leben/lifestyle/ellen-ringier-ich-wollte-unseren-familiennamen-nicht-beschaedigen-169631.html